Sonntag, 19. September 2010

Stadtwerke Wolfsburg im Wahlkampf „Eine Art Parteizentrale der CDU“

Die Ermittlungen gegen den einstigen Wahlkampfleiter von Christian Wulff könnte Kreise ziehen. Welche Rolle spielen dabei die Stadtwerke Wolfsburg? Die SPD fordert eine lückenlose Aufklärung der Vorwürfe und spricht von „mafiösen Strukturen“.


„Besser!“ Das war der Siegerslogan, den sich Markus Karp ausgedacht hatte für die Wahlkampagne der CDU Niedersachsen 2003. Mancher erinnert sich daran, wie Karp, ein junger Professor und CDU-Politiker aus Wolfsburg, sein Wahlkampfkonzept im Landesvorstand vorstellte. Wie ein amerikanischer Manager sei er aufgetreten. „Da war klar, der kann alles verkaufen: CDU genauso wie Windeln“, sagt einer, der dabei war. Manche fanden den Wahlkampfleiter von Christian Wulff etwas überdreht, andere waren beeindruckt. Der Erfolg gab Karp Recht. Nach zwei vergeblichen Anläufen wird der CDU-Mann Wulff Ministerpräsident in Hannover.

Karp, heute 44, war immer schnell. Mit 32 wird er Professor für Betriebswirtschaftslehre, Marketing und einiges mehr an der Technischen Fachhochschule Wildau in Brandenburg. Und in seiner Heimat, der roten Arbeiterstadt Wolfsburg, macht er 2001 den CDU-Mann Rolf Schnellecke, Inhaber einer internationalen Spedition, zum Oberbürgermeister. Seitdem sind beide befreundet. Schnellecke, seit zwei Jahren Honorarprofessor an der Fachhochschule Wildau, und Karp – das sind die starken Männer der Wolfsburger CDU.


Derzeit will Markus Karp nicht reden

Heute stellt die CDU zwölf von 16 Ortsbürgermeistern in der Autostadt – auch wegen von Karp gesteuerter Wahlkämpfe. Der macht vieles gleichzeitig. Bis 2006 ist er Aufsichtsratschef der Stadtwerke Wolfsburg und Vize-Fraktionschef im Stadtrat, außerdem 2004 bis 2005 Staatssekretär in Brandenburg bei der Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Johanna Wanka, die seit Ende April dieses Jahres, von Christian Wulff geholt, dasselbe Amt in Hannover ausübt. Als der kaufmännische Vorstand der Stadtwerke Wolfsburg in Folge eines Verkehrsunfalls stirbt, wird Karp zum 1. Januar 2006 sein Nachfolger. Ein Machtmensch sei er, der kriege, was er wolle, sagen die einen. Chuzpe und Talent habe er, aber verspreche zu viel, so andere.
Derzeit will Markus Karp nicht reden. Anfragen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung beantwortet er weder mündlich noch schriftlich. Denn 14 Seiten eng bedrucktes Papier, die seit einer Woche zirkulieren, haben sein Leben verändert und die CDU Wolfsburg in eine Krise gestürzt. Sie könnte sich ausweiten auf die CDU Niedersachsen, ihre Erschütterungen könnten bis ins Schloss Bellevue zu spüren sein. Aufgeschrieben haben die Seiten Maik Nahrstedt, bis vor kurzem Pressesprecher der Stadtwerke Wolfsburg, sowie zwei Prokuristen des kommunalen Unternehmens. Sodann wurden sie an den Aufsichtsrat der Stadtwerke geschickt. Nahrstedt, heute 42, und Karp waren enge Freunde seit den Tagen der Jungen Union, fuhren zusammen in Urlaub. Nahrstedt tat jahrelang das, was Karp ihm auftrug. Er bekam so Zugang zu Kreisen, den er sonst nicht gehabt hätte. Etwa zur Landes-CDU um Christian Wulff, die Karp nach Hannover holte.
Für den Wulff-Wahlkampf sei er auf Karps Verlangen hin „halbtags und oft auch einige Tage am Stück bei vollen Bezügen durch die Stadtwerke von der Arbeit bei den Stadtwerken freigestellt“ worden, schreibt Nahrstedt. Das Gleiche habe für viele andere Wahlkämpfe und insgesamt für CDU-Pressearbeit gegolten. Mehrmals in der Woche sei er mit einem Dienst-Polo der Stadtwerke in die CDU-Landesgeschäftsstelle nach Hannover gefahren, oft habe er Karp mitgenommen. Fahrtkosten und Kosten für das Handy seien, wie bei früheren Wahlkämpfen, von den Stadtwerken bezahlt worden. Auch ein Notebook samt Funkkarte mit monatlichen Kosten in Höhe von 500 Euro seien von damals an bis in die Gegenwart über die Stadtwerke abgerechnet worden.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt wegen Untreue

Karp habe die Stadtwerke Wolfsburg, so Nahrstedt, „zu einer Art Parteizentrale der CDU ausbauen“ wollen und durchgesetzt, dass zwei Mitarbeiter aus dem Parteiteam dort eingestellt worden seien. Eine Sekretärin sei unter anderem dafür zuständig gewesen, CDU-Pressetexte und Fotos zu den örtlichen Zeitungen zu bringen.
In den Jahren 2002 und 2003 sollen in Wulffs CDU-Team in Hannover die „Besserwisser“ aus Wolfsburg zunächst schlecht gelitten gewesen sein. Karp und Olaf Glaeseker, damals CDU-Landessprecher und heute Wulffs Sprecher im Schloss Bellevue, mochten einander nicht. In Wolfsburg glaubten CDU-Politiker, Karp hoffe auf einen Posten als Wirtschafts- oder Wissenschaftsminister in Wulffs Kabinett. Er bekam ihn nicht. Aber er heiratete Wulffs damalige Sekretärin.
Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen Nahrstedt und Karp wegen Untreue, im Falle Karps auch wegen Vorteilsgewährung. Daneben gibt es drei weitere Verfahren. Eines gegen Nahrstedt wegen der Verbreitung falscher Behauptungen – er soll der Verfasser von Dutzenden anonymer Briefe sein, die in den letzten eineinhalb Jahren an Zeitungen, Rundfunksender und Abgeordnete verschickt wurden und die gegen Karp gerichtet waren. Vor fünf Wochen hatte die Polizei deswegen das Haus und die Büros von Nahrstedt durchsucht, Computer und Akten beschlagnahmt. Nahrstedt, mittlerweile zum Betriebsrat der Stadtwerke auf einer gegen Karp gerichteten Liste gewählt, hat wiederum seinen früheren Freund wegen Nötigung angezeigt – ein Vertrauter Karps soll einen Prokuristen mit Unannehmlichkeiten wegen zu viel bestellter VIP-Karten für Fußballspiele gedroht haben, wenn er nicht gegen Nahrstedt aussage. Im Falle der VIP-Karten – es geht um einen Betrag von 4000 Euro – läuft gegen Nahrstedt und den Prokuristen ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Untreue.

„Wir prüfen, ob es weitere Beschuldigte geben wird“

Markus Karp hat die Vorwürfe in einer Erklärung als „haltlos, infam und grotesk“ bezeichnet. Maik Nahrstedt sagt: „Ich stehe zu 100 Prozent zu den Aussagen, die wir getroffen haben.“ In der CDU Wolfsburg wollen sich viele nicht äußern. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat die Brisanz des Vorfalls erkannt. Die Ermittlungen sollen nicht der Polizei Braunschweig, sondern einer übergeordneten Polizeibehörde übertragen werden.
„Wir prüfen, ob es weitere Beschuldigte geben wird. Man könnte damit rechnen, wenn Mitwisserschaft besteht“, sagt Oberstaatsanwalt Joachim Geyer. Man werde umfänglich ermitteln, auch wenn für manche Straftatbestände eine Verjährungsfrist von fünf Jahren bestehe.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dpa


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